Mittwoch, 12. Februar 2014

Leseprobe Luzifer


„Zu Ehren welches Heiligen hast du deine Kapelle geweiht?“, frug er noch einmal schärfer.
„Zu Ehren des unschuldigen Gottes.“
Der Mensch sagte das langsam und feierlich. Der Bischof schlug ein Kreuz und beugte den Kopf.
„Der Name des gekreuzigten Hochgelobten geht über alle Heiligen.“
„Der unschuldige Gott ist nicht der Gekreuzigte, Bischof.“
Der Bischof zog die Brauen in die Höhe und hob den Kopf.
„Du fabelst, Mensch. Ich weiß von keinem anderen unschuldigen Gott.“
In die tiefliegenden Augen des anderen kam ein langsames Aufwachen. Er machte einen Schritt vorwärts und sah den Bischof sonderbar zwingend an.
„Ich kann es dir sagen, Bischof, aber du verstehst es nicht. Die Lehre ist nur für die Auserwählten, denen die heiligen Vier sie offenbaren. Aber wer ein Auserwählter ist, muss durch sieben feurige Höllen gehen. Und das ist nicht jedermanns Ding, Bischof.“
Er sprach hastig und heimlich und streckte den Kopf dabei vor. In seinen Augen war ein unruhiges Flackern. Der Bischof trat unwillkürlich zurück. Furcht hatte er nicht, aber ein sonderbares Grauen lief ihm kalt vom Scheitel über den Rücken herunter.  Der Mensch merkte es. Ein kurzes, hartes Lachen kam in dieses Gesicht, das Falten und Narben hatte und nicht alt und nicht jung aussah.
„Ich bin nicht toll, Bischof. Ich tue dir auch nichts zu leide. Aber die Lehre ist nicht für einen Menschen.  Soll ich dir sagen, wer der unschuldige Gott ist! Lucifer! Lucifer! Lucifer!“
Der Bischof griff plötzlich nach der Rückenlehne eines Sessels, der  neben ihm stand, und packte den Knauf krampfhaft mit der Hand, es war ihm dunkelbraun in die Stirn geschossen.
„Ketzer!“, brachte er nur heiser heraus.
Der Mensch ließ ihm nicht Zeit, er war ihm ganz nah gekommen und streckte den Arm in die Höhe wie ein Bußprophet.
„Im Anfang war die Eins, die vier war: Der Vater, der Sohn, der Geist, der Lucifer. Und Lucifer hatte soviel Macht wie die anderen drei. Da erhoben sich die Drei gegen ihn und stießen ihn unschuldig aus dem Himmel und ließen ihm nur soviel Macht, als einer von Ihnen hatte. Aber er ist Gott von Ewigkeit, der teil hat an der Welt, und es wird der Tag kommen, da er sich aufhebt in den Himmel, und wird eine heilige Vier sein wie im Anfange.“
Kleiner Abschnitt aus dem Buch „Luzifer“ von Lulu von Strauß und Tornen, 1924

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